S. Zala: Diplomatische Dokumente der Schweiz

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Titel
Diplomatische Dokumente der Schweiz.


Herausgeber
Zala, Sacha
Reihe
Band 24 (1.1.1967 bis 31.12.1969)
Erschienen
Zürich 2012: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
536 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Lukas Zürcher, Aussereuropäische Geschichte, Universität Zürich

Band 24 der «Diplomatischen Dokumente der Schweiz» (DDS) dokumentiert mit 190 exemplarischen Quellen die Geschichte der schweizerischen Aussenbeziehungen vom 1. Januar 1967 bis zum 31. Dezember 1969. Mit ihm legt die Forschungsgruppe der DDS unter der Leitung von Dr. Sacha Zala einen weiteren Band der auf 16 Bände konzipierten zweiten Serie zur Geschichte der Schweizer Aussenpolitik vor, welche die Zeitspanne des «Kalten Kriegs» von 1945 bis 1989 abdeckt und nach einem speditiven Editionsplan 2020 abgeschlossen werden soll. Als Aktenedition in gedruckter Form liegt bereits die erste Serie zu den Jahren 1848 bis 1945 vor (Bände 1 bis 15). Die DDS gehen auf eine Initiative im Jahr 1972 zurück und sind heute ein Unternehmen der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW).

Der sorgfältig edierte und chronologisch geordnete Quellenkorpus von Band 24 umfasst neben Protokollen aller Art auch interne Notizen, Korrespondenz, Exposés oder offizielle Stellungnahmen, die fast ausschliesslich aus dem Schweizerischen Bundesarchiv stammen. Wegleitend für die Auswahl der Dokumente ist ihre relative Bedeutung für die historische Rekonstruktion der schweizerischen Aussenpolitik.

Um sich innerhalb des disparaten Quellenmaterials schnell orientieren zu können, bietet der Band verschiedene wertvolle Hilfestellungen an. Dazu zählen eine zusammenfassende Einleitung, ein Dokumentenverzeichnis mit kurzen Inhaltsangaben sowie ein thematisches Verzeichnis. Ausserdem ermöglichen ein Personenregister, ein Körperschaftsregister und ein Register der geografischen Bezeichnungen eine gezielte Suche innerhalb der Dokumente. Etwas irritierend wirkt im «Verzeichnis der benutzten Bestände» die verschiedentlich angebrachte Kennzeichnung «besonders forschungsrelevant», da die Forschungsrelevanz von Dokumenten nicht per se von ihrem Inhalt, sondern von der gewählten Fragestellung abhängt.

Um Transparenz bemüht, listet die Forschungsgruppe am Schluss der Edition drei Seiten lang all jene Bestände auf, die auf Geheiss des Schweizerischen Bundesrats für Forschung und Öffentlichkeit nicht zugänglichen sind. Unter die Archivsperre fallen in erster Linie Dokumente zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und Südafrika, darunter Archivmaterial zur Ausfuhr von schweizerischem Kriegsmaterial nach Südafrika, zu schweizerischen Anleihen an südafrikanische Firmen oder zum Prozess gegen die Maschinen- und Waffenfabrik «Oerlikon-Bührle». Hinzu kommen Bestände zu den Auslandsbeziehungen der jurassischen Separatisten oder zu Nuklearwaffen. Es ist erfreulich, dass der Bundesrat mit der Aufhebung der Aktensperre für Dokumente zu den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Südafrika zu einer offeneren und mutigeren Politik zurückgefunden hat.

Der vorliegende Band schliesst die 1960er Jahre ab. Er dokumentiert damit die letzten drei Jahre einer Dekade schweizerischer Aussenpolitik, die sich unter der Führung von Friedrich Traugott Wahlen (1. Juli 1961 bis 31. Dezember 1965) und Willy Spühler (1. Januar 1966 bis 31. Januar 1970) vor allem durch einen Ausbau schweizerischer Aussenbeziehungen mit west- und osteuropäischen Staaten sowie durch eine Integration in eine internationale Staatengemeinschaft auszeichnete, welche sich ihrerseits zunehmend an der Idee der Entwicklung «unterentwickelter» Länder orientierte. Entsprechend stieg in den 1960er Jahren auch in der Schweiz das öffentliche Interesse an aussenpolitischen Themen. Insbesondere die Dekolonisation Afrikas und die wachsende internationale Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit lösten Debatten über die Rolle der Schweiz in der Weltgemeinschaft aus und führten zu einer Problematisierung schweizerischer Wirtschafts- und Finanzbeziehungen.

Insgesamt lassen sich aus der Fülle aller aussenpolitischen Aktivitäten der Schweiz zwischen 1967 und 1970 fünf thematische Schwerpunkte herauslesen. Zunächst dominierte die Europapolitik die Schweizer Diplomatie. Die Entwicklungen in der EWG und der EFTA waren für die Schweizer Aussenpolitiker ausserordentlich schwierig einzuschätzen und erforderten von der Schweiz gegenüber Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten viel Klärungsbedarf. Besonders mit dem EWG-Beitrittsgesuch der Partnerstaaten aus der Freihandelsassoziation EFTA – Dänemark, Norwegen und vor allem Grossbritannien – stellte sich für die Schweiz die Frage, in welcher Form sie sich an «einer gesamteuropäischen Regelung» beteiligen könnte (Dok. 165). Zweitens standen diese Jahre unter dem Zeichen einer vorsichtigen Annäherung an das kommunistische Osteuropa, was sich unter anderem in der «Besuchsdiplomatie» Schweizer Bundesräte und ranghoher Offiziere spiegelte (Dok. 170). Drittens war die Schweizer Aussenpolitik durch die Expansion des Schweizer Finanzplatzes gefordert. Namentlich das Bankgeheimnis kam unter Druck und musste von Schweizer Diplomaten verteidigt werden. Bereits Ende 1967 konfrontierte die US-amerikanische Justizbehörde die Schweizer Botschaft mit dem Bankgeheimnis (Dok. 58). Viertens wurde die Schweiz zunehmend in internationale Strukturen eingebunden. Entsprechend kamen Fragen nach einem Beitritt zur UNO (Dok. 4), zur Weltbank und zum Währungsfonds (Dok. 72) auf. Ausserdem manifestierte sich diese Tendenz im Verhandlungsabschluss der Kennedy-Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GAT T) in Genf (Dok. 24) oder in der Diskussion um die Teilnahme an einer Europäischen Sicherheitskonferenz (Dok. 188). Schliesslich entwickelte sich die Zusammenarbeit mit wirtschaftsschwachen Ländern zu einem dynamischen Betätigungsfeld der Schweizer Aussenpolitik. Nicht nur genehmigte das Parlament 1969 den vierten Rahmenkredit über die Weiterführung der Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz in der Höhe von 180 Millionen Franken und hiess damit ein weiteres Mal die schnell wachsenden Entwicklungsausgaben gut, Willy Spühler bereiste im Sommer 1969 auch als erster Bundesrat den afrikanischen Kontinent mit dem Ziel, die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Ländern zu intensivieren (Dok. 161). Mit dem Entwicklungsengagement wollte sich die Schweiz nicht zuletzt Sichtbarkeit innerhalb der internationalen Entwicklungsgemeinschaft verschaffen und sich trotz Nichtmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen als Partnerin bei der Lösung globaler Probleme zur Verfügung stellen. Dazu unterstützte das Eidgenössische Politische Departement auch das humanitäre Engagement des IKRK, wobei einer allgemeinen Gleichsetzung zwischen Schweiz und IKRK nicht entgegengewirkt wurde. Eine Ausnahme bildete hier der Einsatz des IKRK unter dem Schweizer Botschafter August R. Lindt in Biafra. Als sich während des nigerianischen Sezessionskriegs von 1967 bis 1970 die IKRK-Mission als problematisch erwies, war das Eidgenössische Politische Departement ausserordentlich bemüht, zwischen der Schweiz und dem IKRK eine klare Trennlinie zu ziehen (Dok. 185). Es ist ein Verdienst der gesamten Quellenedition, dass sie mit solchen Dokumenten immer wieder deutlich macht, wie sehr die Schweiz entgegen ihrer liebgewonnen Selbstdarstellung als selbstloser, neutraler und unabhängiger Sonderfall ins internationale System eingebunden und Teil der Weltwirtschaft und Weltpolitik war.

Die DDS werden mit Band 24 dem Anspruch gerecht, «der Forschung und der Öffentlichkeit eine Auswahl an amtlichen Dokumenten zur Verfügung zu stellen, die für eine Rekonstruktion und das Verständnis der Geschichte der Aussenbeziehungen und der transnationalen Verflechtung der Schweiz zentral ist.» (S. VII) Allerdings nimmt der Nutzen der gedruckten Ausgabe für Historikerinnen und Historiker kontinuierlich ab, was massgeblich mit der auch im internationalen Vergleich beeindruckenden Qualität der Datenbank Dodis und der dazugehörigen Website (www.dodis.ch) zusammenhängt. Zwar können sich bei der Lektüre der einzelnen Bände der Leserschaft nach wie vor zahlreiche neue Forschungsfelder eröffnen, das Arbeitsinstrument von Forscherinnen und Forschern sind heute aber in erster Linie die Datenbank und die Website. Dort finden sich mittlerweile über 15 000 frei zugängliche Dokumente, von denen rund die Hälfte als digitalisierte Reproduktionen heruntergeladen werden kann. Dank einer Vielzahl vernetzter Angaben zu Archivbeständen, Personen, Körperschaften und geografischen Orten sowie einer Vernetzung mit anderen Datenbanken wie dem Historischen Lexikon der Schweiz hat sich dodis.ch in den letzten Jahren zu einem wertvollen und benutzerfreundlichen Instrument zur Erforschung der Schweizer Aussenpolitik entwickelt. Seit Anfang April ist auf der Website auch eine mehr als 3000 Titel umfassende Bibliographie zur Geschichte der Aussenpolitik und der internationalen Beziehungen der Schweiz komplett online zugänglich.

Die DDS haben in der Vergangenheit unter Beweis gestellt, wie schnell die Forschungsgruppe in der Lage ist, laufende Trends zu erkennen und technische Innovationen zu nutzen. Ausdruck davon sind neben der laufenden Optimierung der Website unter anderem die Social-media-Aktivitäten und die Dodis-App. Man darf gespannt sein, wie Dodis mit der wachsenden Nachfrage von Historikerinnen und Historikern nach komplett digitalisierten Archivdossiers und den Möglichkeiten der automatisierten Texterkennung mittels Optical Character Recognition (OCR) umgehen wird.

Zitierweise:
Lukas Zürcher: Rezension zu: Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 24 (1. 1. 1967 bis 31. 12. 1969), Forschungsleitung: Sacha Zala, Zürich: Chronos Verlag, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 3, 2014, S. 516-519.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 3, 2014, S. 516-519.

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